50 Jahre Seelsorge im Gesundheitswesen

    Die Zusammenarbeit der Gesundheitsinstitutionen mit den beiden grossen Landeskirchen im Aargau ist schweizweit einzigartig. Seit 1973 ist das «Abkommen über die Seelsorge in den kantonalen Krankenhäusern zwischen der evangelisch-reformierten und der römisch-katholischen Landeskirche einerseits und dem Staat Aargau anderseits» in Kraft. Dass diese erfolgreiche und wertvolle Zusammenarbeit seit 50 Jahren Bestand hat, wurde im November im Rahmen einer Feierstunde gewürdigt.

    (Bild: zVg) Seit 50 Jahren arbeiten Gesundheitsinstitutionen mit den beiden grossen Landeskirchen im Aargau erfolgreich zusammen- ein Grund zum Feiern.

    Die Seelsorgenden sind im Aargau in Institutionen des Gesundheitswesens mit mehr als 150 Betten präsent – mit insgesamt 1’365 Stellenprozenten. Seelsorge als spezialisierte Spiritual Care ist heute gut und verbindlich in die Teams der Spitäler integriert. Das Seelsorge-Angebot der Reformierten und der Römisch-Katholischen Landeskirche im Kanton Aargau steht allen Patientinnen, Bewohnern, Angehörigen und Mitarbeitende der Institutionen zur Verfügung – unabhängig von deren Weltanschauung und Religionszugehörigkeit. Die Landeskirchen erbringen so eine gesamtgesellschaftliche Leistung an alle Menschen.

    Feierstunde in Aarau
    In seiner Eröffnung der Feierstunde anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums sagte Christoph Weber-Berg, Kirchenratspräsident der Reformierten Landeskirche Aargau: «Wir dürfen auf das Erreichte stolz sein. Mit dem Modell der ökumenisch verantworteten Seelsorge sind wir als Landeskirchen gemeinsam präsent und nicht nur nebeneinander.» Hinsichtlich des 50-jährigen Vertrages ergänzte er: «Mir gefällt, dass im Vertrag vom Auftrag des Staates an die Kirchen die Rede ist. Das waren noch Zeiten, als so ein weitreichender Vertrag auf einer A4-Seite Platz hatte.»
    In der Verabschiedung griff Luc Humbel, Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau, diese Aussage auf und sagte: «Es ist würdig und recht, dass wir heute hier feiern. Doch mir als Jurist gefällt der Vertrag weniger. Er hat eine Lücke. Er sagt nichts zur Finanzierung. Zukünftig muss der Vertrag auch ein Preisschild haben.»
    Drei Fachvorträge gaben einen Überblick über die Seelsorge im Gesundheitswesen durch die Zeit. Für die passende musikalische Umrahmung der Feierstunde sorgten «Moody Tunes», Bettina und Christian Müller an Saxophon, Querflöte und Klavier.

    Drei Fachvorträge
    Klaus Völlmin war in den 1970er und 1980er Jahren als reformierter Seelsorger im Kantonsspital Baden (KSB) tätig. Gemeinsam mit dem katholischen Priester Vinzenz Felder etablierte er die Gottesdienste im KSB als «Zentrum für ökumenisch Suchende». «Eine gefreute Ökumene mit beglückenden Erfahrungen und Bekanntschaften», sagt er in seinem sehr persönlichen Rückblick auf diese Zeit.

    Pfarrerin Franziska Schär ist seit 13 Jahren als Seelsorgerin im Kantonsspital Aarau (KSA) tätig. In dieser Zeit erlebte sie die Entwicklung und die Implementierung der ökumenisch verantworteten Seelsorge in den Spitälern mit. Eine wichtige Entwicklung sei dabei die Bewegung von der «Krankenseelsorge» zur «Krankenhausseelsorge». Dank der Vernetzung und der Integration der Seelsorge ins Spital-Team, sind Seelsorgende Ansprechperson – nicht nur für Patientinnen und Patienten – sondern auch bei persönlichen Problemen der Mitarbeitenden, für Weiterbildungen zu ethischen und religiösen Themen und als Co-Leitung des Ethikforums bei ethischen Fallbesprechungen in schwierigen Entscheidungssituationen. Als «spezialisierte Spiritual Care» nimmt die Spitalseelsorge heute einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag wahr. Sie ist verbindlich in der interprofessionellen Zusammenarbeit integriert. Spitalseelsorgerinnen und -seelsorger sind für alle Menschen da, die ein Gespräch oder Begleitung wünschen, unabhängig von ihrer Konfession, Religion, Weltanschauung oder kulturellem Hintergrund.

    Claudia Graf ist seit 19 Jahren in der Spitalseelsorge tätig, war an der Universität Bern Studienleiterin für Spital- und Klinikseelsorge und ist im schweizerischen Berufsverband für Seelsorge im Gesundheitswesen (BSG) Teil des wissenschaftlichen Beirats. Als Bernerin gratulierte sie dem Aargau zu seinem einzigartigen Modell der ökumenisch verantworteten Seelsorge und skizzierte drei mögliche Zukunftsvisionen. Die Spitalseelsorge als eigenständige Profession, lebe in zwei Welten – den Religionsgemeinschaften und dem Gesundheitswesen.

    Zukunft der Seelsorge im Kanton Aargau
    Vor fünfzig Jahren haben die Landeskirchen vom Kanton noch keine finanzielle Entschädigung für die Erfüllung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe erhalten. Das war damals auch nicht nötig, denn praktisch alle Patientinnen und Patienten gehörten einer Landeskirche an. Mittlerweile gehören knapp 50 Prozent der Menschen einer Landeskirche an. Die Seelsorge der Landeskirchen als spezialisierte Spiritual Care hat in den vergangenen 50 Jahren gezeigt, dass sie in der Lage ist, allen Menschen im Gesundheitswesen – unabhängig von ihrer Kirchenzugehörigkeit – in spirituellen und existentiellen Nöten Begleitung anzubieten.

    Im kantonalen Palliative Care Konzept hat der Kanton anerkannt, dass die Seelsorge als integrierter Teil der mobilen Palliative-Versorgung vom Staat finanziert wird. Die Regierung und das Parlament des Kantons Aargau anerkennen damit die gesamtgesellschaftliche Leistung der landeskirchlichen Seelsorge und haben 2022 zum ersten Mal seit 50 Jahren eine Mitfinanzierung im Rahmen von einer halben Million Franken beschlossen.

    Um die Seelsorge im Gesundheitswesen des Kantons Aargau bedarfsorientiert weiterzuentwickeln, vernetzen sich die Landeskirchen im nächsten Jahr in einer Fachkommission mit Vertreterinnen und Vertretern aller Sparten des Gesundheitswesens, der Politik und auch des Kantons. Die Bedeutung der Seelsorge im Gesundheitswesen zeigt sich auch in der Gründung des schweizerischen Berufsverbandes für Seelsorge im Gesundheitswesen, BSG.

    pd

    Vorheriger ArtikelCancel Culture, die Demokratie und unsere Eigenverantwortung
    Nächster Artikel«Die Situation spitzt sich zu – essentielle Medikamente fehlen»