«Stromgesetz – wichtiger erster Schritt»

    FDP-Präsident Thierry Burkart befürwortet das neue Stromgesetz, damit wir mittelfristig die Stromversorgungssicherheit verbessern können. Hingegen sind für ihn die Gesundheitsinitiativen keine Lösung, sondern teure und nutzlose Symptombekämpfung. Der Aargauer Ständerat stand uns Red und Antwort zu weiteren wichtigen Themen wie Mobilität, Bundesfinanzen, bezahlbarer Wohnraum, zur Europapolitik und zur Armee. FDP-Regierungsrat Stephan Attiger ist für ihn ein Glücksfall und er hofft, dass er dieses Jahr erneut in die Aargauer Regierung gewählt wird.

    (Bild: zVg) FDP-Präsident und Aargauer Ständerat Thierry Burkart: «Die Stauproblematik erreicht jedes Jahr neue Rekordwerte. Die Produktivitätseinbussen für Unternehmen sind enorm.»

    Mit dem Stromgesetz, offiziell «Mantelerlass» genannt, hat das Stimmvolk am 9. Juni über eine wichtige Vorlage in der Energiepolitik zu entscheiden. Weshalb braucht es ein Ja an der Urne?
    Thierry Burkart: Dieses Gesetz ist ein wichtiger Teil für die zukünftige Stromversorgung der Schweiz. Es legt Ausbauziele fest und bringt 16 Wasserkraftprojekte wie die Erhöhung der Grimselstaumauer voran, die seit langem auf eine Baubewilligung warten und von Natur- und Umweltverbänden blockiert werden. Das Stromgesetz bringt zusätzlichen Winterstrom, den wir dringend benötigen. Es ist ein wichtiger Schritt, um die Stromversorgungssicherheit mittelfristig verbessern zu können.

    Sie haben kürzlich mit Ihrem Postulat «Weiterbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke» reüssiert. Weshalb braucht die Schweiz neue KKW?
    Wichtig ist zunächst, dass die bestehenden Kernkraftwerke länger weiterlaufen können. Das bedingt, dass die Rahmenbedingungen so angepasst werden, dass sich Investitionen in die Kraftwerke lohnen und damit Sicherheit und Wirtschaftlichkeit – die beiden massgebenden Kriterien – länger aufrechterhalten werden können. Ohne den Bandstrom aus Kernkraftwerken wird es kaum möglich sein, die Stromversorgung verlässlich und zu akzeptablen Preisen zu sichern. Klar ist aber auch, wenn wir in Zukunft nicht auf neue Gaskraftwerke setzen und damit die CO2-Ziele missachten wollen, dann kommen wir nicht um den Ersatzneubau von Kernkraftwerken herum.

    Bleiben wir bei der nächsten Abstimmung vom 9. Juni: Wie wollen Sie die Krankenkassenprämien-Abstimmung gewinnen?
    Wir müssen uns bewusst sein: Die Prämien-Initiative der SP und Gewerkschaften löst horrende Kosten aus, löst aber kein einziges Problem. Sie führt für Bund und Kantone im Jahr 2030 zu 11.7 Milliarden Franken Mehrkosten pro Jahr – Tendenz steigend. Die Konsequenz wäre bis zu 2.3 Prozent höhere Mehrwertsteuern plus steigende kantonale Steuern. Eine dafür nötige Erhöhung der MWST um 2,3 Prozent würde einen durchschnittlichen Haushalt pro Jahr mit 1’200 Franken mehr belasten. Quittung ist also eine ständig steigende Steuerbelastung. Darunter leidet vor allem der Mittelstand. Das möchten wir mit aller Kraft verhindern. Die Leute sollen am Ende des Monats wegen der steigenden Abgaben nicht immer weniger im Portemonnaie haben. (vgl. Kolumne «Prämienentlastungsinitiative: Massive Belastung für den Mittelstand»)

    Themenwechsel: In diesem Jahr stimmt das Volk über den Ausbau der Nationalstrassen ab. Weshalb ist ein Ja zu diesen Engpassbeseitigungen wichtig?
    Wirtschaft und Gesellschaft – wir alle – sind auf eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur und damit auch funktionierende Strassen angewiesen. Die Erreichbarkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Kundinnen und Kunden sowie für Güter ist einer der zentralen Standortfaktoren. Das Nationalstrassennetz wurde für 6 Millionen Menschen konzipiert, und die Schweiz zählt bald 9 Millionen Einwohner. Jedes Jahr verursachen Staus auf den Nationalstrassen Zeitverluste in Höhe von schätzungsweise 3 bis 4 Milliarden Franken. Stau auf der Nationalstrasse führt zu Ausweichverkehr in Dörfer und Städte mit den entsprechenden Folgen für Sicherheit, Lärm und Siedlungsentwicklung.

    Sie sind Präsident des Nutzfahrzeugverbands ASTAG, welcher sich für die Interessen und Anliegen des Strassentransports und des Transportgewerbes einsetzt. Wie schlimm ist die Stausituation auf der Autobahn?
    Die Stauproblematik erreicht jedes Jahr neue Rekordwerte. Mittlerweile verzeichnen wir 40’000 Staustunden, das sind umgerechnet 4,5 Jahre Stau pro Jahr! Die Produktivitätseinbussen für Unternehmen sind enorm. Das Einhalten der Zeitvorgaben der Kundinnen und Kunden wird immer schwieriger und verursacht Stress für die Chauffeurinnen und Chauffeure. Damit verliert dieser schöne Beruf an Attraktivität. Dieser Fachkräftemangel kann, wenn er noch schlimmer wird, ernsthafte Versorgungsprobleme für unser Land zur Folge haben.

    Finanzministerin Karin Keller-Sutter betont immer wieder, der Bund habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Sie sind auch dieser Ansicht und fordern eine Prioritätensetzung. Wo setzten Sie den Rotstift an?
    Ja, denn der Bundeshaushalt gibt schon seit geraumer Zeit Anlass zur Sorge: Mittelfristig wird mit einem strukturellen Defizit von 4 Milliarden Franken pro Jahr gerechnet. Es ist deshalb erfreulich, dass der Bundesrat unter der Leitung von Finanzministerin Karin Keller-Sutter eine Expertengruppe einsetzt, die eine systematische Aufgaben- und Subventionsüberprüfung durchführen und Vorschläge zur Reduktion des strukturellen Defizits ausarbeiten soll. Die FDP unterstützt diese Massnahme vollumfänglich. In einem Budget von 85 Milliarden Franken wird es einiges an Sparpotential geben.

    (Bild: PEXELS) Die Prämien-Initiative der SP und Gewerkschaften löst horrende Kosten aus, löst aber kein einziges Problem. Deshalb NEIN am 9. Juni.

    Immer wieder in den Schlagzeilen sind die gigantischen Boni im Bankensektor. Sind da weitere Regulierungen notwendig?
    Die FDP fordert eine persönliche Haftung der Manager und des Verwaltungsrates, damit die Verantwortung der Unternehmensführung in Zukunft wahrgenommen wird. Bussen für das Unternehmen reichen für eine Verhaltensänderung nicht aus. Es muss klar sein, was die Verwaltungsräte bei Missmanagement zu erwarten haben. Dabei ist zu unterscheiden, ob ein Unternehmen eine faktische Staatsgarantie hat oder nicht. Letztlich bestimmen die Eigentümer über den «korrekten» Lohn. Die Unternehmen und ihre Aktionäre müssen aber auch endlich darüber bewusst werden, was ihre Entscheidungen in der Bevölkerung auslösen. Gerade für die arbeitenden Menschen sind exzessive Manager-Löhne, die dank einer Staatsgarantie zustande kommen, unverständlich.

    Steigende Mieten und bezahlbarer Wohnraum sind ein aktuelles Thema: Was sind Ihre Rezepte, damit alle Menschen ihre Mieten bezahlen können?
    Für die FDP ist klar: Um der gegenwärtigen Wohnungsknappheit wirksam zu begegnen, braucht es mehr Wohnungen. Das Mietangebot ist unzureichend und der Mittelstand kann sich kaum mehr Wohneigentum leisten. Dafür muss Bauen wieder attraktiver werden. Dafür braucht es unter anderem eine Flexibilisierung der rigiden Lärmschutzmassnahmen, einen Abbau der Normen bei Heimat- und Denkmalschutz und eine bessere Nutzung bestehender Gebäude. Weiter sind Baubewilligungsverfahren durch einen Abbau von Bürokratie zu beschleunigen. Schwächen zeigen sich auch bei der Umsetzung der Revision des Raumplanungsgesetzes. Das führt zusätzlich zu einer Verlangsamung der Bautätigkeit. Damit die Wohnungsknappheit nicht in eine Wohnungsnot ausartet, müssen insbesondere in Städten weitere Massnahmen ergriffen werden. Hier steht die Verdichtung im Vordergrund. In Städten soll es möglich werden, ein bis zwei Etagen höher zu bauen.

    Kommen wir zur Europapolitik: Das Rahmenabkommen scheiterte nach langen Verhandlungen kurz vor der Ziellinie. Wie schätzen Sie die Situation jetzt ein?
    Die EU und ihre Mitgliedstaaten sind unsere wichtigsten Handelspartner. Wir teilen eine gemeinsame Geschichte und gemeinsame Werte. Gute und verlässliche Beziehungen sind deshalb für unsere Wirtschaft und Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Mit dem Paketansatz hat der Bundesrat wesentliche Verbesserungen erreicht, derzeit sind die Verhandlungen im Gange. Es braucht eine seriöse Abwägung der Vor- und Nachteile für unser Land. Zentral ist, dass der liberale Arbeitsmarkt nicht geopfert werden darf. Eine seriöse Beurteilung der Bilateralen III kann also erst nach Vorliegen des Verhandlungsergebnisses sowie der innenpolitischen Begleitmassnahmen erfolgen.

    Und noch ein Wort zur Armee: Sicherheit gehört zum Grundauftrag eines jeden Staates. Wie schätzen Sie die finanziellen Engpässe bei der Armee ein und wo ist Handlungsbedarf?
    Die aktuelle geopolitische Lage hat Konsequenzen für die Schweizer Sicherheitspolitik. Diese muss an neue Realitäten angepasst werden. Denn die Sicherheit gehört zu den Grundvoraussetzungen für Freiheit und Wohlstand. Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung steht zu einer starken, gut ausgebildeten und ausgerüsteten Milizarmee. Die FDP hat sich für die Erhöhung des Armeebudgets auf ein Prozent des BIP bis im Jahr 2030 eingesetzt. Durch den Entscheid des Parlaments, die Erhöhung bis 2035 zu verlängern, wurden die damit verbundenen Herausforderungen verschärft. Die Freisinnigen stehen für eine wehrhafte Armee und nachhaltige Finanzen. Ich erinnere daran, dass nicht nur die Einhaltung der Schuldenbremse, sondern auch der Auftrag zur Landesverteidigung in der Verfassung verankert ist.

    Im Kanton Aargau werden dieses Jahr der Grosse Rat, der Regierungsrat und die Bezirks- und Kreisbehörden neu gewählt. FDP-Regierungsrat Stephan Attiger sitzt seit 2013 in der Regierung und tritt nochmals an. Wieso sollte er für eine weitere Amtsperiode gewählt werden?
    Es ist ein Glücksfall, dass der weitsichtige und erfahrene Exekutivpolitiker sich für eine weitere Legislatur zur Verfügung stellt. Als Mann mit Bodenhaftung und eigentlicher Brückenbauer ist er ein wichtiges Aushängeschild für den Aargau und die FDP. Mit seiner fokussierten und menschlichen Art prägt er die Kantonsregierung. Zudem engagiert er sich national in wichtigen Gremien, unter anderem als Präsident der Bau- und Planungsdirektorenkonferenz.

    Interview: Corinne Remund


    Zur Person
    Thierry Burkart ist seit 2021 Präsident der FDP Schweiz. Bevor ihm 2015 der Sprung 2015 nach Bern gelang, politisierte er im Aargauer Kantonsparlament, das er 2014 präsidierte. Nach vier Jahren Nationalrat wurde er 2019 in den Ständerat gewählt, 2023 wurde er im ersten Wahlgang mit einem historischen Resultat bestätigt. Seine wichtigsten Themen sind Energie-, Verkehrs-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik. In der Armee ist er Hauptmann. Der 48-Jährige hat in St Gallen und Lausanne studiert und 2010 das Anwaltspatent erworben. Er ist Mitglied diverser Verwaltungsräte. Er lebt mit seiner Partnerin im aargauischen Lengau. Zu seinen Hobbys zählen Reiten, Wandern, Musik und Handball.

    CR

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