Geschichten erzählen – analog und digital

    Das Stadtmuseum Aarau ist ein Dienstleistungsbetrieb für die Bevölkerung. Mit seiner Sammlung wird das Gedächtnis der Stadt Aarau für kommende Generationen gepflegt und mit seiner Vermittlungstätigkeit bietet das Haus Raum für Geschichte und Geschichten, stellt Fragen und lädt zu Begegnung und Austausch ein. Ein Rundgang mit dem Leiter Marc Griesshammer unter anderem durch die aktuelle Ausstellung «ZEITGESCHICHTE AARGAU 1950 – 2000».

    (Bild: Felix Wey) Marc Griesshammer während der Eröffnungsfeier zu «ZEITGESCHICHTE AARGAU 1950 – 2000».

    Wie sind Sie mit dem letztjährigen Museumsjahr zufrieden?
    Marc Griesshammer: Der Start ins Jahr erfolgte im Stillen und hinter verschlossenen Türen. Erst ab März durften Einzelpersonen wieder ins Museum, für Schulen und Gruppen blieb die Situation bis in den Mai hinein kompliziert. Mit der gemeinsamen Ausstellung «Cirqu› im Stadtmuseum» – einer Kooperation mit cirqu›, dem zeitgenössischen Zirkusfestival – zog dann der Zirkus ein. Während des Festivals «cirqu’8» waren wir als Festivalzentrum gut besucht, ermöglichten den nächtlichen Ausstellungsbesuch und hatten mit Artistinnen und Artisten, die in einer Residenz an ihren Performances gearbeitet haben, viel Leben im Haus. Während des Frühlings- und Sommerferienprogramms besuchten zahlreiche daheimgebliebenen Kinder und Jugendlichen das vielseitige Workshop-Angebot rund um die Fotografie. Nachdem das Fotofestival Lenzburg im September/Oktober in unseren Räumen zwei internationale Fotografie-Ausstellungen zeigte, eröffneten wir im November mit einer grossen Vernissage die Wechselausstellung «ZEITGESCHICHTE AARGAU 1950 – 2000. Bilderkosmos eines halben Jahrhunderts». Somit konnten wir im Gegensatz zum ersten Corona-Jahr das Ausstellungsprogramm fast uneingeschränkt wiederaufnehmen, so dass wir inhaltlich sehr zufrieden sind.

    Für das Stadtmuseum hat mit dem Erweiterungsbau eine wichtige Neupositionierung begonnen. Welche Bilanz können Sie da ziehen und in welche Richtung geht die weitere Entwicklung?
    Der Erweiterungsbau ist ein grosser Gewinn für das Museum, für die Stadt und die Menschen, die hier leben. Er hat unsere Möglichkeiten für eine zeitgemässe Museumsarbeit massiv erweitert. Er bietet Platz für Begegnungen, Austausch, Kooperationen und verschiedenste Vermittlungsformate, die wir ausprobieren und entwickeln konnten. Die Pandemiezeit mit weniger Veranstaltungen und reduziertem Programm bot zusätzlich eine Chance für eine Auslegeordnung und eine Standortbestimmung, welche wir entsprechend nutzten. Wir entwickelten ein neues digitales Konzept und erweiterten unser Sammlungskonzept im Hinblick auf Partizipation und kulturelle Teilhabe. Dies führte dazu, dass wir nun in diesem Jahr eine Aktualisierung der Dauerausstellung in Angriff nehmen und das Foyer neugestalten. Diese Veränderungen werden für das Publikum ab Mitte 2023 sichtbar.

    Wo muss man heute die Besucherinnen und Besucher abholen, damit sie begeistert nach Hause gehen?
    In ihrem Alltag, in ihrer Lebenswelt, mit ihren persönlichen Geschichten und ihren individuellen Fragen. Die meisten Leute besuchen uns in ihrer Freizeit. Da müssen wir uns fragen, was können wir ihnen bieten, was andere nicht können, dass sie ihre wertvolle Zeit mit uns teilen. Und da sind die Bedürfnisse vielfältig.

    Die einen sind neugierig und möchten Neues erfahren und ihr Wissen erweitern. Andere wollen unterhalten werden, gemeinsam etwas erleben oder sich vielleicht auch einfach nur treffen, austauschen oder gemeinsam spielen. Den Einen bieten wir Angebote, die sie nutzen können. Für andere schaffen wir Formate, wo mitgearbeitet, mitgedacht und mitgesammelt werden soll. So wollen wir beispielsweise in der überarbeiteten Dauerausstellung ein Arbeitszimmer für Gruppen einrichten, wo gemeinsam Inhalte erarbeitet und neue Sammlungsobjekte definiert werden können.

    (Bild: Kurt Reichenbach/stAGG/RBA13-RCO2453-1_7) Arbeiterinnen beim Sortieren von Früchten in der Konservenfabrik Hero in Lenzburg (Juli 1992).

    Fotografie sowie neu digitale Bildwelten sind zwei der inhaltlichen Schwerpunkte im Stadtmuseum. Was möchten Sie damit Ihren Besucherinnen und Besuchern vermitteln?
    Wir haben das Glück, dass wir in unserer Sammlung über Fotografie-Bestände verfügen, die bis in die Anfangszeiten der Fotografie zurückführen und von da fast lückenlos in die Gegenwart führen. Dazu kommt eine wertvolle Kooperation mit dem Staatsarchiv Aargau rund um dessen Bestände zum Ringier Bildarchiv, welche uns vortreffliche Möglichkeiten zur Vermittlung des visuellen Kulturerbes geben. Fotos haben eine eigene Sprache, sie sind durch einfaches Anschauen zugänglich und lösen immer unmittelbar etwas aus. Gleichzeitig sind es immer Momentaufnahmen, nur Ausschnitte einer Umgebung. Sie sind zwar konkret, blenden aber alles rundherum aus. Hier liegt der Fokus unserer Arbeit. Wir kontextualisieren, sammeln und erzählen Geschichten rundherum, suchen den Austausch, stellen Fragen und liefern mögliche Antworten. Und dies nicht nur analog, sondern auch digital.

    Welchen Stellenwert hat die Digitalisierung bei Ihnen im Museum und wie reagieren die Besucherinnen und Besucher darauf?
    Die Digitalisierung löst auch im Museum Veränderungsprozesse aus. Das Museum der Gegenwart und der Zukunft arbeitet nicht nur in gemauerten Wänden, sondern vermittelt sein Wissen und bewahrt das Gedächtnis der Stadt genauso im digitalen Raum. Die Betreuung der Sammlung, die Art der Vermittlung, die Möglichkeiten der Erzählung oder die räumliche Arbeit sind genauso betroffen, wie sich die Erwartungshaltung des Publikums verändert. Das Stadtmuseum Aarau hat sich zum Ziel gesetzt, diesen Wandel nicht einfach geschehen zu lassen, sondern aktiv mitzugestalten und gleichzeitig der Bevölkerung verständlich, nachvollzieh- und erlebbar aufzuzeigen. Aktuell finden im Rahmen der gemeinsam mit der Stadtbibliothek realisierten Veranstaltungsserie create&play zweiwöchentlich Minecraft-Workshops für Jugendliche statt. Wir bieten Workshops und öffentliche Veranstaltungen in den Bereichen 3D-Druck und Programmieren an.

    All diese Angebote stossen auf breites Interesse, sowohl bei Schulen, als auch bei individuellen Besuchenden. So waren beispielsweise die Digitaldays im letzten November ein grosser Erfolg. Die Nachfrage für die Angebote war so stark, dass wir nun Lösungen erarbeiten, um beispielsweise den mit der FHNW durchgeführten Workshop zum Thema Robotik weiterhin anbieten zu können. Gleichzeitig entwickeln wir für die Fotografie ein «remote bzw. Fernunterrichtsangebot», welches vom Klassenzimmer aus durchgeführt werden kann. So können wir die Bestände des Ringier Bildarchivs digital auch in die Schulen bringen.

    Was ist für dieses Jahr geplant und was sind die Höhenpunkte im Museumsjahr 2022?
    Das Jahr steht ganz im Zeichen der Ausstellung «ZEGESCHICHTE AARGAU 1950 – 2000» mit vielseitigem Begleitprogramm: So werden wir den Mittagstisch «Mein Aargau im Topf» mit Kurzführung durch die Ausstellung wiederaufnehmen, Erzählcafés durchführen und den verschobenen Aktionstag mit Führungen in verschiedenen Sprachen nachholen. Zudem ist ab Februar endlich der Aufschluss Meyerstollen wieder für die Öffentlichkeit zugänglich. Mitte März eröffnen wir im Foyer die Ausstellung «Und dann fing das Leben an», die eine biografisch-fotografische Recherche in der Schweiz und der Türkei zeigt. Ein grosser Höhepunkt soll dann zum Museumsgeburtstag folgen, inklusive einer Veranstaltung am 22. April auf dem Schlossplatz.

    Interview: Corinne Remund


    Die aktuelle Ausstellung «ZEITGESCHICHTE AARGAU 1950 – 2000»

    Die Historikerinnen und Historiker von ZEITGESCHICHTE AARGAU haben während vier Jahren die Aargauer Kantonsgeschichte seit 1950 aufgearbeitet: Entstanden sind ein umfangreiches Buch, ein Dokumentarfilm und in Zusammenarbeit mit dem Stadtmuseum Aarau eine Ausstellung. Diese lässt das Publikum in einen Bilderkosmos eintauchen und mit Pressebildern aus dem Ringier Bildarchiv die jüngere Zeitgeschichte neu erleben.

    Ein Hörtext mit erstaunlichen und unterhaltsamen Anekdoten begleitet durch die Bilderwelt: Von den ersten Gästen im Thermalbad Zurzach, zur Kölliker Bevölkerung, die sich mit einem Volksfest für die Autobahn bedankt bis zum dramatischen Schachkrieg mit Aargauer Beteiligung. Anhand von 24 ausgewählten Episoden taucht die Ausstellung in die Kantonsgeschichte ein und wirft Fragen zur Wirkungsmacht von Bildern auf: Welche Fotografien prägen unser visuelles Gedächtnis? Und finden sich im Archiv alternative Sichtweisen dazu? Video-Beiträge aus dem SRF-Archiv geben die Ereignisse durch die Brille von damals wieder. Von Zeit zu Zeit wechselt die Lichtstimmung im Ausstellungssaal und eine Episode der Aargauer Geschichte erwacht zum Leben.

    An, auf und unter der Bilderskulptur in der Ausstellung warten farbige Wimmelbilder darauf, von Kindern ab 5 Jahren aufgespürt zu werden (Illustrationen aus dem Aargau Wimmelbuch, vatter&vatter AG, Verlag für wort-bild-kultur). Begleitet von einem Hörtext von Giulietta, die mit ihrer Familie aus Italien nach Aarau gekommen ist, suchen sich Kinder selbstständig den Weg durch die Aargauer Geschichte, manchmal braucht es dazu sogar eine Taschenlampe… Am Grosselterntag am 13. März und am Museumsgeburtstag am 24. April zeichnen Gross und Klein die Wimmelbilder in einem Workshop mit dem Illustrator Julien Gründisch weiter.

    www.stadtmuseum.ch

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