«Es braucht eine Durch­impfungsrate von 75 Prozent»

    Das Impfen ist zurzeit im Kanton Aargau voll im Gang. Neu dürfen auch Hausärzte in ihren Praxen impfen. Für Dr. Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes, ist die Impfung die einzige Möglichkeit, die Pandemie in den Griff zu kriegen. Doch der oberste Aargauer Arzt weist auch darauf hin, dass es bezüglich Impfen noch viel Aufklärungsarbeit braucht, um die gewünschte «Herdenimmunität» dank Impfung zu erreichen.

    (Bild: zVg) Dr. Jürg Lareida ist zufrieden mit dem Kanton: «Die Impfkampagne läuft reibungslos.»

    Wir stecken noch voll in der 3. Welle, allerdings wird (leicht) gelockert. Ist dies sinnvoll oder das Risiko zu gross?
    Dr. Jürg Lareida: Die aktuelle Situation ist sehr schwierig zu interpretieren. Die aktuellen Lockerungen haben nicht zu einem Anstieg der Fallzahlen geführt. Allerdings steigt die Positivitätsrate an, also der Anteil der positiven Tests wird immer grösser. Dies spricht für eine Zunahme der Fälle und ein ungenügendes Testen. Die Situation muss genau beobachtet werden.

    Der Bundesrat hat bereits angekündigt, dass im Sommer (Juli / August) wieder Konzerte und Events bis zu 3000 Personen stattfinden können. Wie realistisch sehen Sie das als Mediziner?
    Das hängt von der Durchimpfung der Bevölkerung ab. Immunisierte Personen stellen nach heutigem Wissen kein Risiko mehr dar, sodass grosse Events möglich sind. Voraussetzung ist allerdings entweder eine durchgemachte Coviderkrankung oder eine vollständige Impfung. Negative Tests hingegen genügen nicht.

    Das Impfen im Kanton Aargau beschleunigt sich. Sind Sie zufrieden mit der Aargauer Impfkampagne?
    Die Impfkampagne läuft reibungslos. Es wird schnell geimpft. Das Problem stellt weiterhin der zu knappe Impfstoff dar. Der Kanton Aargau könnte mehr Leute impfen, wenn mehr Impfstoff zur Verfügung stehen würde.

    Ab sofort kann man sich auch bei den Hausärzten impfen lassen. Was sind hier die Vorteile?
    Viele Patienten brauchen zusätzliche Informationen zur Impfung und haben Vertrauen in ihre Ärztinnen und Ärzte. Es gibt immer noch viele Hochrisikopatienten, die nicht geimpft sind und sich nun in den Hausarztpraxen impfen lassen.

    Werden die Hausarztpraxen jetzt überrennt mit Impfwilligen?
    Wir haben viele Anmeldungen, aber überrannt werden wir nicht.

    Hausärzte sind meistens mit Patienten überlastet, wie bringen sie diese Impfaktion unter einen Hut?
    Es ist nicht möglich die Praxis zu betreiben und gleichzeitig zu impfen. Die meisten Praxen impfen an speziellen Tagen zum Beispiel am Donnerstagnachmittag oder am Samstag, also zu Zeiten, wo sie sonst keine Patienten sehen.

    Der Impfstoff muss stark gekühlt werden. Verfügt eine Hausarztpraxis über die nötige Infrastruktur dazu?
    Der Impfstoff wird in tiefgefrorenem Zustand von gewissen Stützpunktapotheken zur Verfügung gestellt. Aufgetaut ist der Impfstoff in der Arztpraxis im Kühlschrank während 28 Tagen haltbar. Die Infrastruktur bietet somit keine Probleme. Das Hauptproblem ist, dass eine angestochene Ampulle während sechs Stunden aufgebraucht sein muss. Aus diesem Grund müssen sogenannte Impftage gemacht werden.

    Der Bundesrat wünscht sich eine Durchimpfungsrate von 60 Prozent. Ist das realistisch?
    Das ist zu wenig. Es braucht mehr als 75 Prozent. Um dieses Ziel zu erreichen braucht es noch viel Aufklärungsarbeit.

    Die Bevölkerung wird bezüglich Schutzmassnahmen langsam nachlässig. Täuscht dieser Eindruck oder wie sehen Sie das?
    Ich mache dieselben Beobachtungen. Das rührt daher, dass gewisse Massnahmen nicht nachvollziehbar sind. Das neueste Beispiel ist die Maskentragpflicht im Bereich der Restaurantterrassen.

    Was sind aus heutiger Sicht die Knackpunkte bei dieser Pandemie, die wohl noch einige Zeit dauert?
    Die Impfung ist bis heute die einzige Möglichkeit, die Pandemie in den Griff zu kriegen. Ohne Durchimpfung wird sie noch zwei bis drei Jahre weitergehen.

    Können Sie uns bezüglich Coronavirus noch ein paar Silbersteifen am Horizont zeigen?
    Einerseits steigen die Zahlen nicht so stark an wie es befürchtet wird, andererseits zeigen die Zahlen aus Israel, dass die Impfung wirkt. Dann sehen wir kaum mehr Fälle in den Heimen – auch dies dank der Impfung. Allerdings scheinen die neuen Varianten auch jüngere Menschen schwer zu treffen. Es ist deshalb wichtig, dass wir so schnell wie möglich die verletzlichen Leute impfen können.

    Interview: Corinne Remund


    Aargauischer Ärzteverband

    Der Aargauische Ärzteverband findet seinen Ursprung vor 200 Jahren. Damals haben sich einige Mediziner zusammengeschlossen, insbesondere um die Fortbildung zu organisieren. Die Dienstleistungen für die Mitglieder sind breitgefächert und reichen von Tarifzugang, Verhandlungen mit Krankenkassen, Datensammlung (Kosten und Leistungsdaten) über MPA-Ausbildung, Organisation von Fortbildungen bis hin zu allgemeinen standespolitischen Informationen. Heute zählt der Verband rund 1700 Mitglieder. Die grössten Herausforderungen für die Mitglieder sind die sinkende Kaufkraft – seit 1998 keine Anpassung des Taxpunktwertes, Verlust der Kaufkraft um knapp 50 Prozent seit 1990 – Zunahme der Administration, fehlende Nachfolge sowie staatliche Eingriffe.

    Mehr Infos:
    www.aargauer-aerzte.ch

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