Auf eine lebendige Debatte!


    Kolumne


    Zusammenhalt ist wichtig. Doch zur Demokratie gehört auch eine faire Streitkultur. Je klarer wir die politischen Differenzen aufzeigen, desto besser werden die Entscheide an der Urne.

    (Bild: zVg) Dr. Adrian Schoop ist Unternehmer und FDP-Grossrat.

    Bei jeder Gelegenheit beschwören Politiker und Festredner landauf, landab die Werte von Zusammenhalt und Solidarität. Es ist unbestritten, dass diese Werte wichtig sind für unser Land. Nicht umsonst steht meine Partei, die FDP, zum schönen alten Wort «Gemeinsinn».

    Nur zusammen können wir in der ausdifferenzierten modernen Gesellschaft überhaupt überleben, nur gemeinsam können wir etwas bewegen.

    Moralischer Druck
    Trotzdem klingt der rituelle Appell zu Zusammenhalt und Solidarität irgendwie hohl. Womit das wohl zu tun hat?

    Ich glaube, es sind zwei Dinge.

    Erstens: Man kann mit solchen Aufrufen leicht Missbrauch treiben. Besonders die Mächtigen im Land sollten damit vorsichtig umgehen. Wer aus einer Machtposition von oben herab zu Zusammenhalt aufruft, meint damit oft etwas anderes: Folgsamkeit und Gehorsam. Dies kann man gegenwärtig am Beispiel der Corona-Massnahmen studieren: Wer das Impfen als solidarischen Akt verkauft, übt damit einen moralischen Druck aus. Denn wer will sich schon dem Vorwurf aussetzen, unsolidarisch zu sein?

    Es scheppert in der Rhetorik
    Der zweite Grund, warum es vielfach scheppert in der Solidaritätsrhetorik, ist: Wir haben es hier nur mit der halben Wahrheit zu tun.

    Ebenso wichtig ist eine faire Streitkultur. Das gilt auch in meinem Unternehmen. Wir diskutieren oft hart um die besten Lösungen. Solche werden verunmöglicht, wenn wir Kritik und Differenzen von vornherein unter den Tisch wischen.

    Wer es allen recht machen will, macht nichts richtig.

    Missstände nicht verdrängen
    Dies gilt umso mehr für unsere direkte Demokratie. Dieses politische Modell lebt – ganz im liberalen Sinn – vom Wettbewerb der Ideen, Parteien, Bürgerbewegungen usw. Eine lebendige Demokratie ist ohne faire Streitkultur undenkbar. Der Widerspruch ist hier Programm.

    Ja, man kann sogar sagen: Je schärfer die Argumente der verschiedenen Akteure herausgestellt werden, desto besser – weil informierter – können die Stimmberechtigten und Wähler am Ende entscheiden. Die harte, aber faire politische Auseinandersetzung trägt zur Lebendigkeit und Qualität der Demokratie bei.

    Daher ist es mein Verdacht, dass diejenigen, welche allzu sehr von «Zusammenhalt» und «Solidarität» reden, vielleicht gar kein Interesse daran haben, dass gewisse Themen und Probleme diskutiert werden. Es bedeutet nicht immer gleich «Spaltung» – auch so ein Schlagwort der Solidaritätsrhetoriker –, wenn Differenzen offen angesprochen werden.

    Ganz im Gegenteil: Wer Unangenehmes und Missstände verdrängt und tabuisiert, der riskiert, dass es eines Tages zu realen Rissen in der Gesellschaft kommt, dass Parallelgesellschaften entstehen und der Zusammenhalt der Schweiz tatsächlich bröckelt.

    Darum meine ich: Es lebe die lebendige Debatte! Es lebe die direkte Demokratie!

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